A P H O R I S T I K E R T R E F F E N
Größe im Kleinen.
Der Aphorismus und seine Nachbarn

Zur Geschichte und Bedeutung der Aphorismen

| Definition | Gesichtspunkte | Stilmittel | Geschichtliches | pdf-Doku

Definitionen

Wer oder was sind eigentlich Aphorismen?
Kurze, prägnante Aussagen
Aphorismus
aus Metzler Literaturlexikon Stuttgart 1984 hrsg. Von G. u. I. Schweikle
Pl. Aphorismen
gr. Aphorizein = abgrenzen, definieren
prägnant knappe, geistreiche oder spitzfindige Formulierung eines Gedankens, eines Urteils, einer Lebensweisheit. Nach Inhalt und Stil anspruchsvoller als das Sprichwort; ausgezeichnet durch effektvolle Anwendung rhetorischer Stilmittel (Antithese, Parallelismus, Chiasmus, Paradoxon) und durch auffallende Metaphorik. Als Denkanspruch bisweilen überspitzt, auf überraschende Wirkung bedacht; will den Leser verblüffen, seine Kritik herausfordern.
Aphorismus
aus Literatur-Brockhaus, Mannheim 1988
... Ausdruck einer auf Übertreibung zielenden subjektiven Meinung, meldet satirischen, provokativen, zugespitzten Widerspruch gegen allgemein verbreitete, generalisierende Anschauungen, Urteile oder Lehrmeinungen an, gegen die der Aphorismus oft Paradoxa und Mehrdeutigkeiten setzt.
Aphorismus
aus Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, 6. Aufl. Stuttgart 1979
kurzer, schlagkräftig und äußerst prägnant formulierter einzelner Prosasatz zur Einkleidung einer eigenartigen persönlichen Gedankens, Werturteils, eine Augenblickerkenntnis oder Lebensweisheit, durch geistreichen Inhalt und individuellen Stil unterschieden vom Niveau des Sprichworts, >das Sprichwort der Gebildeten<, stilistisch oft in rhetorischer Form gefasst wie Antithese, Paradoxon, Emphase, Hyperbel.
Aphorismus
Friedemann Spicker
kontextuell isolierte, konzise, bis auf Satz und Einzelwort verknappte literarische Prosaform, im Grundsatz nichtfiktional, oft rhetorisch oder metaphorisch markant, als unsystematisches Erlebnisdenken und Erkenntnis-Spiel im Grenzgebiet von Wissenschaft, Philosophie und Literatur im besonderen Maße auf die kritische Weiterarbeit des Lesers angewiesen.

Gesichtspunkte des Aphorismus (nach Krupka):

  • Autor-in: bekannt
  • Verwendung: selbstständig (steht für sich allein)
  • Umfang: meist ein Satz (oder mehrere)
    ("kürzeste Form der Prosa")
  • Formulierung: knapp und präzise
  • Geltung: gegensätzlich (siehe Definition)
  • Funktion: Innovation (neuer, zündender Gedanke), verbunden mit Täuschung der Lesererwartung
...das letzte Glied einer Gedankenkette.
nach Marie von Ebner-Eschenbach


Wer oder was sind eigentlich Aphorismen?
Sie sind bissig, mitunter humorvoll, meist satirisch-kritisch und kämpfen häufig gegen den Zeitgeist. Sie übertreiben maßlos und bringen es stets auf den Punkt. In jedem Fall kommen sie zu kurz.
Oder kennen Sie einen lebenden Zeitgenossen, der Aphorismen schreibt?

Eine besondere literarische Gattung und ihre Geschichte

Die Aphoristik ist die kürzeste Literaturgattung in Prosa, sie kann auf eine lange Tradition in der Weltliteratur zurückblicken.
Zu den Hauptvertretern zählen:
  • Hippokrates, Urvater der Medizin
  • Francis Bacon (1561-1626) englischer Staatsmann und Philosoph
  • La Rochefoucauld
  • Pascal
  • Chamfort
  • Lichtenberg
  • Jean Paul
  • Schlegel
  • Novalis
  • Seume
  • Schopenhauer
  • Goethe
  • von Ebner-Eschenbach
  • Kraus
  • Kudszus
  • Elias Canetti
  • Hebbel
  • Kafka


Stilmittel des Aphorismus

1. Übertreibung
  1. als Superlativ
    "Verwöhnte Kinder sind die unglücklichsten; sie lernen schon in jungen Jahren die Leiden der Tyrannen kennen."
    Marie von Ebner-Eschenbach
  2. als Maximalbehauptung
    "Ein Mann von Geist wird nicht allein nie etwas Dummes sagen, er wird auch nie etwas Dummes hören."
    Ludwig Börne
  3. als Verhaltensregel
    "Siege, aber triumphiere nicht."
    Marie von Ebner-Eschenbach
  4. als Begriffsbestimmung
    "Erinnerung - Nachholerin alles Versäumten."
    Wilhelm von Scholz
  5. als Antithese
    "Die Liebe einer Frau kannst du dir durch mancherlei verscherzen: durch Vertrauen und durch Mißtrauen, durch Nachgiebigkeit und durch Tyrannei, durch zu viel und durch zu wenig Zärtlichkeit, durch alles und durch nichts."
    Arthur Schnitzler
2. Das Andeuten / Aussparen ("Zu-wenig-sagen")
  1. als Einzelbeobachtung / Fallbeispiel
  2. als Doppelsinn / Hintersinn
  3. als Offenlassen (bis zum Einzelwort-Aphorismus)
3. Verrätselung
  1. als Methapher / Bildersprache
  2. als Vergleich / Proportion
  3. als (scheinbarer) Widerspruch / Paradoxie
4. Überraschung / Verblüffung
  1. als Wortspiel / Wortschöpfung / Anspielung
  2. als Umkehrung / Entlarvung
  3. als Schlusspointe
© Wilbert

Geschichtlicher Abriss

| ausführliche Info (pdf-Doku) |